AM158 – Brief an Walter Gropius
Breitenstein am Semmering, Mittwoch, 15. Juli 1914 [= Poststempel]
Ist es Dir unlieb, wenn ich Dir schreibe – ?
Mir träumte heute Nacht von Dir – so sei glücklich – ohne mich.
Ich aber schreibe – aus einem innern Bedürfnis heraus – zu diesem feinen schönen – der mir einmal die Welt bedeutet hat und den ich nie aufgehört habe – – zu lieben[.] —
Nun bin ich in Wien ausgezogen – in eine echte Stadtwohnung – im 4. Stock mit Lift – die aber den Vortheil hat, dass man überall ist, wenn man will – und Ruh haben kann man immer und überall – am meisten in der
allergrößten Großstadt – ich kannte das in New York – – und jetzt bin ich hier – mein ist fertig – und ist bis auf einen kleinen aesthetischen Fehler ganz so geworden, wie ich mir dachte. – Dabei sehr originell und – – ganz weg von jeder modernen Einrichtungsmache. Ich schaute so viel als möglich, meine alten Kindheitserinnerungen[,] um mich zu sammeln – in meinem Schlafzimmer. Und so bin ich auf was gekommen. Ohne jedes Vorurtheil, was Farbe oder Material betrifft[,] den Sinn des Zimmers verschärfen – so, muss es persönlich sein. —
Jedes Zimmer – abgesehen von einem, das von [!] ist, und
mir geschenkt wurde – ist jedes so, dass nur ich drin es eingerichtet haben kann. – Mein Musikzimmer hat einen Mammutkamin – lila Sarongs vor den Fenster[n] [–] lila Sarongüberzüge auf den Möbeln, schwarze Lackkasten[,] die innen scharf roth lackirt sind. Über dem Kamin ein riesiges al fresco von Ich So hat das ganze Zimmer einen mystischen Reiz. Die schwarzen Kasten sind voll Glasperlgehänge [–] Fächer – Holzfiguren – alte Stoffe – etc[.] –.
Meine winzige Bibliothek ist ein braunes Bärenloch. Rings die Wände Bücher –
eine dunkle Schnitzerei – ein brau\n/er Samtvorhang[.] –
Wie gesagt – weg vom Weiß – das steril macht und so „gesund ist“. – Nicht einmal mehr im Schlafzimmer – die Augen leiden – und die Phantasie bis in die Träume hinein. —
Überhaupt – , etc[.] – über [!], etc[.] – das wissen wir so schon – aber unsere Dichter haben wir eine Zeitlang – zu Liebe der Mathematiker vernachlässigt – so — – ich sehe deutlich, wo wir uns geirrt haben.
Greif Dir nicht an den Kopf – über meinen langen Brief – denk’ lieber, dass das[,] was einmal war – ewig weiter existirt.
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Apparat
Überlieferung
, , , .
Quellenbeschreibung
2 Bl. (2 b. S.) – Briefpapier.
Beilagen
Umschlag, , – Berlin W.[esten] 10 | Kaiserin Augustastr.[aße] 68 | Architect Gropius; PSt.: BREITENSTEIN am SEMMERING | 15.VII.14 – 3 | a; vorder- und rückseitig: Adressstempel: „HAUS MAHLER | BREITENSTEIN a. d. SÜDBAHN“.
Druck
Erstveröffentlichung.
Korrespondenzstellen
keine.
Datierung
Folgt Poststempel.
Übertragung/Mitarbeit
(Elisabeth Behnle)
(Elke Steinhauser)
eine echte Stadtwohnung – neue Wohnung in der Elisabethstraße 22 befand sich im Stadtkern Wiens, nahe der Hofoper und dem Musikverein.
Sarongs – indische Wickeltücher, s. Brief an vom Mai 1914: „Ich werde sofort früh die Sarong-Sarong kaufen gehen […]; [so] muß ich Dir […] die Sarong-Sarong mit Nachnahme schicken“ (, S. 160).
al fresco von O.K. – Wandmalerei oberhalb des Kamins, s. , S. 62 und , S. 191, Anm. 100.
Fächer – sollte insgesamt sieben von ihm bemalte Fächer schenken. Zum Zeitpunkt des vorliegenden Briefes besaß sie bereits fünf Exemplare, s. und , S. 165–205.
Böcklin – , schweizer Maler.
Klinger – , deutscher Maler, Grafiker und Bildhauer.
Cezanne [!] – , französischer Maler.
van Gogh – , niederländischer Maler.
Pfitzner – , deutscher Komponist.